Warum ist es so schwer, Erwartungen loslassen

Es hat mich ordentlich erwischt. Ich liege mit Kopfschmerz, laufender Nase, stechender Brust und schneidendem Husten im Bett.

Am Abend höre ich, wie mein Mann, der den ganzen Tag unterwegs gewesen war, die Tür öffnet. Jetzt wird er gleich seinen Kopf durch die Tür stecken,  Hallo sagen und fragen wie es mir geht. Durch die Glastür sehe ich seinen Schatten in seinem Arbeitszimmer verschwinden. Wieder huscht der Schatten vorbei zur Küche. Ich höre die vertrauten Geräusche:  Brot schneiden, Kühlschrank öffnen, elektrische  Pfeffermühle – dann Ruhe. Keine Türe die sich öffnet, kein Grüß Gott –  gar nichts

Kommunizieren wir nicht mehr? Ich liege  den ganzen Tag krank im Bett und dann nicht mal ein Gruß?  Wie würde ich im umgekehrten Fall reagieren wenn er im Bett läge? Würde ich da nicht als erstes zu ihm gehen und fragen wie es ihm geht?

Die Krankheit hat ein kleines, bedürftiges Mädchen in mir hochgeschwemmt, was sich nicht gesehen, geliebt und angenommen fühlt.   Das kleine Kind ist enttäuscht und sieht die Beziehung gefährdet .

Ich rapple mich hoch und gehe zu ihm in die Küche. Er ist gerade in die Zeitung vertieft. Ich  frage in angespanntem Ton : Übrigens guten Abend. Er schaute aus der Zeitung hoch und murmelte : „Ach hallo, ich dachte du meditierst und da wollte ich dich nicht stören. Wie geht’s dir denn?“

Es war tatsächlich die Zeit in der ich üblicherweise meditiere. Logische Erklärung. Trotzdem war etwas in mir enttäuscht. Ich  hatte ganz bestimmte Vorstellungen davon, was passieren sollte, wenn er nach Hause kommt und ich krank im Bett liege: sich nach der Rückkehr sofort nach meinem Befinden zu erkundigen,  mich bedauern, fragen, was ich brauche.  Ich fühlte mich schwach, nutzlos, kraftlos und mitleidenswert und hätte so gerne einen Ritter, der für mich da ist.   Das ganze Repertoire des kleinen schutzlosen Kindes kommt in mir hoch.

Allmählich setzt sich wieder mein analytischer Geist  durch und überdenkt die Situation.  Eigentlich verlief die Situation wie immer zu dieser Uhrzeit und im Grunde genommen will ich zu dieser Zeit tatsächlich ungestört meditieren. Und trotzdem merke ich,  wie schwierig es ist, aus dieser Stimmung wieder auszusteigen. Irgendetwas in mir will die Rolle des Opfers nicht loslassen und säuselte weiter in mir nach:  Er müsste doch wissen… Ich würde niemals so …..

Mein erwachsenes Ich muss  über mich lächeln.  Ich hatte mich in eine Erwartungshaltung  hinein gesteigert die schließlich nicht erfüllt wurde. Auch wenn es immer noch schwer fällt – trotz Erkenntnis – diese loszulassen.

Warum reagieren wir oft unverständlich

Wenn wir sehr emotional reagieren, hat dies immer mit unseren vergangenen Erfahrungen zu tun, die diese Situation in uns auslöst. Sehr häufig geht dies zurück bis in unsere Kindheit, wo wir noch nicht unseren korrigierenden Verstand hatten, um die Situation einzuordnen.

Alte Emotionen wie : ich bin nicht wichtig, ich werde nicht geliebt, ich bin nicht gewünscht usw.  können  wach werden. Denn dann passiert, dass ein anderer genau den Zweifel anspricht,  der insgeheim auch in mir nagt

 

Wie kommen wir aus der Haltung wieder heraus?

  • Erstmals anerkennen, dass wir im Moment so empfinden wie wir empfinden: Ja ich empfinde jetzt so und es ist in Ordnung. Nehme dich in deiner Verletzlichkeit und deinen Bedürfnissen an
  • Erkennen, dass dies womöglich ein sehr subjektives „altes“ Gefühl sein kann . Woher kennen wir dieses Gefühl? -Dies ist schon ein wichtiger Schritt weg von der Identifizierung mit diesem Gefühl und setzt die Situation in einen objektiveren Beobachterrahmen. Wann bei welcher Gelegenheit  wird es ausgelöst?  Sind es „junge“ oder „alte“ Gefühle?
  • Betrachten wir die Situation objektiv. Was ist wirklich passiert? Inwiefern unterscheidet sie sich von ähnlichen Situationen dass wir so darauf reagieren? Könnte es sein, dass unsere subjektive Wahrnehmung uns einen Streich spielt?
  • Wenn jemand anderes beteiligt ist: kläre die Situation. Spreche sie an und teile mit, was für ein Gefühl sein Verhalten ausgelöst hat.